Brüggemann: „Sagt Eure Meinung, schwimmt nicht mit dem Strom“ (2024)

Berliner Zeitung: Herr Brüggemann, es ist jetzt einige Zeit her seit #allesdichtmachen, wann war das genau?

Dietrich Brüggemann: Am 22. April.

Mit dem Abstand, den wir jetzt haben, was hat das Projekt gebracht?

#allesdichtmachen hatte massive Auswirkungen auf das ganze Land. Es hat eingeschlagen wie selten etwas. Wir haben getan, was eine der zentralen Aufgaben von Kunst ist: Die Axt an den Konsens gelegt.

Waren Sie überrascht, dass sich so viele Schauspieler und Schauspielerinnen beteiligt haben?

Es hat mich gefreut. Die Zwangslage, die im Diskurs herrschte, wurde erst durch diese Aktion sichtbar. Vorher dachte man noch, es sei möglich, Kritik zu üben und auf die Absurdität hinzuweisen. Die Giftigkeit der Reaktion hat gezeigt, wie die wahre Lage ist: Wer den Lockdown kritisiert, der ist ein Unmensch und wird öffentlich hingerichtet.

Haben Sie mit dieser Giftigkeit gerechnet?

Nicht in diesem Ausmaß. Ich hatte auf inhaltliche Auseinandersetzung gehofft. Die ersten Kommentare waren positiv, nachdenklich. Und dann ist ein Sturm losgebrochen, erst auf Twitter und dann überall.

Haben Sie einen Nerv getroffen?

Ganz offensichtlich ja. Die Maßnahmen sind übergriffig, das spürt insgeheim jeder. Mit der Frage, ob sie notwendig sind, sollte diese banale Tatsache erst mal nichts zu tun haben. Es herrscht aber ein ungeheurer Druck, dieses Gefühl nicht zu artikulieren, da man sonst gemobbt wird. Also rationalisiert man die Situation und die eigene Unterwerfung als einen Akt der Vernunft: Die Maßnahmen müssen sein, weil die Wissenschaft es sagt. Völlig im Abseits steht dabei die berechtigte Frage, ob man dasselbe Ziel auch auf anderen Wegen erreichen könnte. Der Spruch, der Zweck heiligt die Mittel, ist falsch. Die Mittel sind der Zweck. Das autoritäre Durchregieren ist nicht der einzig mögliche Modus. Als Filmemacher komme ich viel herum und kann sagen: Die Leute hierzulande sind in Ordnung. Die sind vernünftig und verantwortungsbewusst. Man hätte sagen können: Wir machen keine gesetzliche Regelung, sondern sagen euch, was das Problem ist und wie man gemeinsam versuchen kann, es zu lösen. Wir respektieren euch als erwachsene Bürger. Bei Naturkatastrophen entstehen Zusammenhalt und Solidarität ganz von allein. Mit den Maßnahmen hat man stattdessen das Hässliche in der Gesellschaft zum Vorschein gebracht.

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Wie sehen Sie die Corona-Maßnahmen?

Sie sind ein umfassender Eingriff auf körperlicher Ebene. Das beginnt bei den Masken. Wir sollten die Masken in ihrer Symbolik, dem Verlust der Mimik, der erschwerten Atmung und Sprache, nicht unterschätzen. Es geht weiter mit detailwütigen Regelungen zum sozialen Umgang im privatesten Bereich. Und schließlich die Impfung, die als alleiniges Heilmittel hingestellt wird und durch sozialen Druck erzwungen werden soll. Das sind lauter Verletzungen der persönlichen Autonomie, die eigentlich demütigend sind. Um sie durchzusetzen, muss es zu einer Art Religion gemacht werden. Da darf es keine abweichende Meinung geben. In einem normalen, bürgerlichen Diskurs könnte man abwägen. Aber mit religiös begründetem Zwang kommt man nicht ins Gespräch. Alles ist nur noch Symbolik. Wer dagegen etwas sagt, ist ein Spinner oder böswillig.

Brüggemann: „Sagt Eure Meinung, schwimmt nicht mit dem Strom“ (1)

Dietrich BrüggemannBerliner Zeitung/Paulus Ponizak

Wie sehen Sie den Lockdown?

Das Ziel war nie klar formuliert. Angela Merkel sagte, mit ihrem Hintergrund als DDR-Bürgerin sei vollkommen klar, dass solche Einschränkungen nur in einer absoluten Notlage gerechtfertigt seien. Erst hieß es „flatten the curve“, dann war es der R-Wert, dann der Impfstoff, dann mussten die Risikogruppen geimpft werden, dann sollten alle ein Impfangebot gehabt haben, dann sollten alle geimpft sein, dann sollten auch Kinder geimpft sein und als nächstes müssen alle Impfungen aufgefrischt werden. Vom Ende der Maßnahmen redet überhaupt niemand mehr. Dabei sollte das doch das Ziel sein.

Den Geimpften wurde gesagt, wenn ihr geimpft seid, bekommt ihr eure Freiheiten zurück …

… und stattdessen ist der Ausnahmezustand jetzt zum Dauerzustand geworden. Ich höre immer häufiger, dass auch unter den Geimpften Unruhe herrscht. Es gab angeblich schon tumultartige Szenen an Orten, an denen die 2G-Regel eingeführt wurde.

Wie waren die Reaktionen auf #allesdichtmachen insgesamt?

Wir haben einen enormen Rückhalt in der Bevölkerung erlebt. Wir haben auf der Website Tausende E-Mails erhalten. 99,5 Prozent waren Dank, Zustimmung. Es war berührend. Viele haben geschrieben: Danke, ich hatte schon gedacht, ich bin der Einzige. Viele, die mitgemacht haben, wurden auf der Straße angesprochen. Auch ich, der ich kein Prominenter bin.

Einige Schauspieler hatten die Befürchtung, sie würden wegen der Beteiligung wirtschaftlichen Schaden nehmen. Wie waren die Auswirkungen auf Sie persönlich?

Es wird Sie überraschen: Ja, es gab einige negative Überraschungen. Aber es gab noch viel mehr positive Überraschungen. Mir wurde ein Buchvertrag für einen Roman bei einem kleinen Verlag gekündigt, aber darauf sind zwei größere Verlage gekommen und haben Interesse signalisiert. Ein Plattenlabel, mit dem ich seit Jahren freundschaftlich zusammengearbeitet habe, hat meine Band ohne Rücksprache vor die Tür gesetzt. Daraufhin haben wir uns entschlossen, unsere Sachen selbst zu vermarkten, und haben festgestellt: Das geht ja auch, wie brauchen dieses Label nicht, es ist sogar besser. Und in der Filmbranche habe ich keinerlei Auswirkungen erlebt. Die nächsten Filme sind in Planung. Einige Türen haben sich geschlossen. Doch neue Türen sind aufgegangen. Es kam sogar der Vorschlag, einen Film mit all den Schauspielern zu produzieren, die bei #allesdichtmachen mitgemacht haben.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus diesen Erfahrungen?

Man kann seine Meinung sagen, und man sollte seine Meinung sagen. Zuerst muss man die Angst vor dem Gegenwind überwinden. Das ist schon die halbe Miete. Jeder kann und muss sich nun vor allem beim de facto Impfzwang gegen die Spaltung und die Diskriminierung wehren. Wir müssen sagen: Da mache ich nicht mit. Ich glaube, dass auch die Geimpften sich beschweren werden, wenn sie merken, dass ihnen etwas versprochen wurde, das dann nicht gehalten wird.

Welche Corona-Politik wäre die richtige?

Wir sollten alles tun, was wir proaktiv machen können: Die Risikogruppen schützen, impfen, Abstand halten, und wer will, soll Masken tragen. Aber wir müssen weg davon, dass jedes Problem wie ein Nagel ist, für den es nur einen Hammer geben kann. Was ist, wenn wir einen Schraubenzieher brauchen? Es kann nicht sein, dass wir nur noch Hämmer herstellen und damit jedes Problem lösen wollen. Und jeden, der etwas anders sagt, niederprügeln: Ärzte werden eingeschüchtert, mit dem Verlust der Zulassung bedroht. Richter müssen Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen. In einer offenen, freien und liberalen Gesellschaft darf das nicht passieren. Eine Kultur, die so vorgeht, vermehrt ihre Feinde. Der 1. August war vielleicht ein Wendepunkt. Da wurde offensichtlich, dass der Konsens nur mit Zwang aufrecht erhalten werden kann. Die Polizei hat mit einer Brutalität auf völlig harmlose Leute eingeprügelt, dass es einem die Sprache verschlägt. Wir müssen alle dies öffentlich machen und laut dagegen kämpfen.

Für die Öffentlichkeit brauchen Sie die Medien. Wie sind da Ihre Erfahrungen?

Ich möchte die Medien nicht so leicht vom Haken lassen. Ich sehe einen bedauerlichen Tunnelblick, eine verantwortungslose Panikmache, eine Dauerbeschallung mit Corona als Killervirus. Hinzu kommt die Arroganz, mit der alternative Medien verächtlich gemacht werden. Und auch die Arroganz, mit der man über andere Länder berichtet oder eben nicht berichtet.

Viele Leute wollen aber gar keine Kritik. Sie haben Ärzte und Juristen erwähnt. Warum ist das so?

(kramt ein Buch aus seiner Tasche) Hier, Erich Fromm, „Die Kunst des Liebens“, 1956. Da geht es um die Konformität in Gesellschaften. Die Leute wollen dazugehören, sie wollen nicht isoliert sein. Es gibt eine Herdenkonformität. Aber wenn es um etwas wirklich Wichtiges geht, muss jeder einzelne seine Stimme erheben, laut und deutlich.

Was rufen Sie den Ärzten zu?

Klärt eure Patienten auf. Macht nicht mit, wenn ihr nicht überzeugt seid.

Was rufen Sie den Juristen zu?

Macht euren Job, beratet eure Klienten. Klagt, habt keine Angst. Vernetzt euch, seid laut. Geht auf Twitter, schreibt kluge und vernünftige Kommentare. Die Journalisten sind alle auf Twitter. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man da etwas bewegen kann.

Brüggemann: „Sagt Eure Meinung, schwimmt nicht mit dem Strom“ (2)

Dietrich BrüggemannBerliner Zeitung/Paulus Ponizak

Was sagen Sie den Medien?

Das ist vollkommen klar: Die Aufgabe der Presse ist es, die handelnde Regierung zu kritisieren, zu hinterfragen. Die Presse ist der Anwalt der Bürger, nicht der Regierung. Der Staat neigt immer dazu, übergriffig zu werden. Die Bürger stehen dem Staat gegenüber. Das ist ein Kernelement der westlichen Kultur.

Was rufen Sie den Künstlern zu?

Informiert euch. Hört auf euer Gewissen. Und wenn ihr zu einer Meinung gekommen seid, dann raus damit. Eure Aufgabe ist es, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Kunst impliziert geistige Unabhängigkeit. Wer sie verliert, verliert etwas von seinem Künstler-Sein.

Was den Politikern?

(denkt sehr lange nach, schaut einer vorbeifahrenden S-Bahn nach) Ein Drittel der Bevölkerung ist massiv gegen die Maßnahmen. Gebt euren Tunnelblick auf. Wo sind die, die an der Seite dieser Gruppe stehen? Es wird doch eine Partei geben, die das Feld nicht der AfD überlassen will.

Besonders betroffen sind die Kinder. Was rufen Sie den Eltern zu?

Es gibt eine historisch einmalige Chance: Noch nie war es so einfach, Helden zu werden. Ihr steht am Zehn-Meter-Brett und müsst springen, und ihr glaubt, es ist kein Wasser im Becken? Ich kann euch ermutigen: Es ist Wasser drin. Viele sind gesprungen und schwimmen jetzt im Becken. Wehrt euch. Masken für kleine Kinder im Unterricht sind Folter. In Schweden gab es das nie. Sagt eure Meinung. Schwimmt nicht mit dem Strom. Ihr werdet irgendwann merken, dass der Strom seine Richtung ändert.

Was rufen Sie den Jugendlichen zu?

Rebellion war schon immer das Vorrecht der Jugend. Macht Partys im Park. Stellt Fragen. Ihr bekommt nichts geschenkt, macht euch keine Illusionen. Widersprecht, wo ihr könnt.

Was rufen Sie den „Querdenkern“ zu?

Da sage ich lieber denen, die demonstrieren wollen: Lasst euch nicht als Querdenker beschimpfen. Und lasst euch nicht auf obskure Geschäftemacher ein. Manchmal denke ich, dieser Ballweg ist eine Satire-Aktion, um jeden Corona-Protest lächerlich zu machen. Das Grundgesetz im Tiergarten neu schreiben – so ein Unsinn. Wir brauchen kein neues Grundgesetz. Das alte war völlig in Ordnung. Lasst euch nicht entmutigen.

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Dietrich BrüggemannBerliner Zeitung/Paulus Ponizak

Was ist mit jenen, die vor Corona wirklich Angst haben?

Schützt euch, ihr wisst ja, wie es geht. Lasst euch impfen. Tragt Masken, haltet Abstand. Gegen Aids hilft Safer Sex, gegen Magen-Darm-Infekte hilft es, beim Essen aufzupassen. Es ist nicht so schwierig. Ich sage aber auch: Für die meisten Menschen ist es harmlos oder geht sogar unbemerkt vorbei. Die Erwartung von etwas Schlechtem verstärkt die körperliche Reaktion, das nennt sich Nocebo-Effekt und ist gut erforscht.

Was sagen Sie den Corona-Kranken?

Das, was man jedem Kranken sagt: Gute Besserung.

Im Herbst läuft Ihr neuer Film an. Handelt er von Corona?

Nein, er wurde vor Corona produziert. Er handelt von der Liebe eines Paars. Aber es gibt eine Szene, in der eine Gesellschaft in zwei Gruppen geteilt wird: Die VIPs und die Non-VIPS. Sie bekommen willkürliche Identitäten zugewiesen und detaillierte Vorschriften, was sie dürfen und was nicht. Der Film ist über zwei Jahre alt, aber die Szene erscheint mir aktuell denn je.

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